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Zwischen Tür und Mangel: Das Bauhandwerk der Zukunft

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« alle 14 Tage eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Die heutige Kolumne ist von Charlotte Ridder:

Logbucheintrag 0.32

Montagmorgen. Ich sitze in einer Videokonferenz im Mirker Bahnhof mit meinem Team von »DigIT_Campus – Das Bauhandwerk der Zukunft«. Thema: Wie können wir weitere Handwerksbetriebe für unsere Workshop- und Beratungsangebote zu Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Ausbildungsförderung begeistern?

In einer kurzen Bildschirm- und Verschnaufpause wandert mein Blick aus dem Fenster und meine Gedanken kreisen: »Bauhandwerk der Zukunft – was ist das eigentlich? Was braucht es, damit das Bauhandwerk attraktiv bleibt? Visionen, Leitbilder, Pläne, Ziele, Vorgaben und technische Möglichkeiten gibt es viele. Woran es mangelt, sind vor allem Hände. Viele und tatkräftige Hände.« Da sehe ich einen unserer Bundesfreiwilligendienstleistenden, der mir fröhlich vom Gerüst zuwinkt. Ich lächle und freue mich über diesen Utopisten im Einsatz, der sich mit Tatendrang dem alten Lack der Fensterrahmen widmet.

Utopiastadt, Mirker Bahnhof, eine ganz gegenwärtige Baustelle! Viele Hände von Fachfirmen und (ehrenamtlichen) Utopist:innen sind hier im Einsatz, um Utopien und Visionen Raum zu geben – Raum für Projekte wie DigIT_Campus, Veranstaltungen und für allerlei Ideen und Austausch. Dafür stehen in Utopiastadt allen die Türen offen: Sich an dieser Zukunftsbaustelle zu beteiligen und auszuprobieren.

Ich schaue an dem fleißigen Utopisten vorbei auf die Fläche, auf der noch vor kurzem der Solar Decathlon Europe stattfand. Er ist nun vorbei, aber die Eindrücke der vielen Visionen zur Gestaltung nachhaltiger Städte bleiben. War das vielleicht das Bauhandwerk der Zukunft? 
Und plötzlich lande ich mitten in der Vergangenheit: Als ich meinen Großvater gefragt habe, wie er eigentlich zu seinem Beruf kam, sagte er trocken: »Durch Zufall. Meine Mutter hat gesagt: ‚Du hast zwei gesunde Hände, mach das erstmal fertig. Schnaps verkaufen kannst du danach immer noch.’« Mit nur 21 Jahren wurde er Stuckateurmeister, machte sich selbstständig und ging schließlich mit diesem Beruf in Rente. Über ein halbes Jahrhundert später sitze ich hier und mache mir Gedanken über die Zukunft des Bauhandwerks.

Zurück in die Videokonferenz: Wir öffnen mit DigIT_Campus Türen: laden Handwerksbetriebe ein, gemeinsam mit uns Potenziale der Digitalisierung des Bauhandwerks zu erfassen, Hürden zu überwinden und Lösungen zu finden. Wir unterstützen dabei, Impulse passgenau in den eigenen Betrieb zu bringen – was auch für Nachwuchskräfte attraktiver ist, die alle so händeringend suchen. Vielleicht ist eine Handwerks-Ausbildung auch was für Deine persönliche Zukunft? Melde Dich, und wir finden es heraus!

Und das Bauhandwerk der Zukunft? Ich glaube, es ist das alles: Es ist die Vision, Großes zu schaffen, genauso wie im Kleinen einfach anfangen und weitermachen, auch, wenn es mal schwierig wird. Es ist Ausbildungsinhalte zukunftsfähig gestalten und es ist voneinander lernen. Es sind Menschen mit Tatendrang und Gestaltungswillen. Wir brauchen Visionen, wie wir Hände brauchen. Denn Hände bauen Zukunft.

Infos: www.digitcampus.de


Erstveröffentlicht am 28.07.2022 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/kolumne-aus-wuppertal-das-bauhandwerk-der-zukunft_aid-73658831

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Utopiastadt von A bis Z

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« alle 14 Tage eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Die heutige Kolumne ist von Amanda Steinborn:

Logbucheintrag 0.31

Kürzlich fand ja der SDE21 auf dem USC statt, dafür musste die USCRS natürlich weichen und einige Container stehen jetzt vor der GPA.*

Hä? Nicht klar geworden, was gemeint ist? Verständlich: Wie überall, gibt es in Utopiastadt mittlerweile so viele Abkürzungen oder interne Bezeichnungen, dass selbst mir es macnhmal schwer fällt, da durchzublicken. Kein Wunder, wenn Außenstehende zunächst nur Bahnhof verstehen.

Die Lösung kann ja aber nicht sein, halbe Kolumnen mit der Erklärung von Abkürzungen zu füllen. Und außerdem gibt es so viel mehr zu erzählen! Genau das haben sich einige Utopist:innen auch gedacht und feilen seit Jahren an einer Erklärfibel für Utopiastadt. Das passt mir sehr gut: Denn ich kann hier nicht nur Abkürzungen nachschlagen, die ich nicht verstehe, sondern vor allem auch das Utopiastadt Universum besser begreifen, von dem ich trotz langjähriger Beteiligung immer noch manches kaum kenne.

Wer vor der Pandemie auf unserer Jahresabschlußfeier war, konnte schon einen Vorgeschmack bekommen und auch selber Begriffe ergänzen. Von »Bernsteinzimmer« über »Hutmacher« bis »kooperative Stadtentwicklung« kann man nun Hintergründe nachlesen, mit denen Utopist:innen sich hier auseinandersetzen. Wieder eine Gelegenheit, bei der ich völlig unerwartet und ohne direkte Intention etwas gelernt habe: Wusstest du zum Beispiel, dass das LoRaWan eine drahtlose Netzwerktechnik ist, die es mit wenig Energie aber mit hoher Reichweite ermöglicht, Daten zu transportieren? Ich nicht. Oder dass Supagolf eine völlig zu unrecht von den Olympischen Spielen ignorierte Randsportart ist?

Neben Begriffen und Abkürzungen habe ich in den Jahren der Entstehung aber vor allem eins gelernt: Kollaboration braucht Zeit. Als die Planung schon zum dritten mal überzogen war, einige an eine Veröffentlichung kaum noch glaubten oder sie als zu utopisch abhakten, haben andere immer weiter Details ergänzt und sich mit Mühe und Liebe hinter das »Projekt Fibel« geklemmt, um ihre Utopie wahr werden und möglichst viele Stimmen und Sichtweisen zu Wort kommen zu lassen. So ist die Liste der Autor:innen lang und der Ideengeber:innnen noch länger – und das passt, denn Utopistadt ist ein Raum von Vielen für Viele, offen für alle mit Interesse am Anderen. Die Fibel ist nun ein Versuch, Überblick zu gewinnen über das, was vor Ort so gedacht und geleistet wird. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit – das wäre dann doch zu utopisch.

Neugierig? Bis zum offiziellen Release kann die Fibel noch zum Vorzugspreis von 32,– Euro im Café Hutmacher vorbestellt und dann am Sonntag, den 7.8. bei der Release-Veranstaltung abgeholt werden.

* Der obige Satz bedeutet übrigens, dass gerade auf den Flächen des Utopiastadt Campus der Solar Decathlon stattfand und dafür einige Container, die vorher auf der Fläche der »Utopiastadt Campus Raumstation« waren, jetzt vor der alten Gepäckabfertigung stehen.


Erstveröffentlicht am 14.07.2022 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/suche/Logbucheintrag

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Gedenkort Seebrücke: nur fünf Tage unbehelligt

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« alle 14 Tage eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Die heutige Kolumne ist von Renate Schatz:

Logbucheintrag 0.30

Am 21. Mai wurde der Gedenkort der Seebrücke Wuppertal eingeweiht. Es war ein Fest mit internationaler Musik, mit Glückwünschen und Dankesreden. Dann passierte es schon fünf Tage später: der Gedenkort wurde demoliert und mit Hassbotschaften verkratzt. Auf der Info-Tafel kann man die Abkürzung NSU für »nationalsozialistischer Untergrund« erkennen.

Wir von der Seebrücke waren innerlich darauf vorbereitet, dass Vandalismus an unserem neuen Denkmal nicht vorbei gehen würde. Ein Schock war es dennoch. Keine fünf Tage, dass dieser schöne Ort vor dem Mirker Bahnhof beschädigt wird. Drei Jahre hat es seit der Entwicklung der Idee gedauert, einem Erinnerungsort für alle Menschen, die auf der Flucht nach Europa ums Leben kamen, eine Gestalt zu geben. Viele haben daran mitgewirkt. Es wurden Kooperationspartner gefunden, Künstler*innen, Handwerker*innen. Sponsoren, Stiftungen, die Stadt Wuppertal, Firmen, Institutionen und Privatpersonen haben unsere Pläne unterstützt, finanziert und durchgeführt.

Im Vorfeld des Projekts hatten wir einige Hürden zu meistern: Der Lockdown hat uns eine einjährige Verzögerung gekostet und wir mussten die Preissteigerungen der Materialkosten kompensieren. Weil so viele engagierte Dienstleister für geringere Kosten oder sogar pro Bono gearbeitet haben und viele Menschen und Organisationen uns ideell und finanziell unterstützt haben, konnte das Boot mit der Gedenkstele und der Bepflanzung schließlich eröffnet werden.

Wir, die Seebrücke Wuppertal, werden weiter für ein offenes Europa eintreten, für das Recht auf Flucht und das Recht auf Ankommen und Asyl. Wir werden uns nicht von Menschen abschrecken lassen, die unsere politischen Forderungen, unsere humanitäre Haltung und Solidarität mit allen Geflüchteten, gleich welcher Herkunft, Hautfarbe, Religion oder geschlechtlicher Orientierung, nicht teilen und auf zerstörerische Weise bekämpfen. Wir erklären uns auch solidarisch mit Flüchtenden und Flüchtlingshelfer*innen, die kriminalisiert werden. Gerade läuft der Prozess gegen die einen Teil der Crew des Seenotrettungsschiffs Juventa in Italien. Es drohen 20 Jahre Haft für jede Person, die gerettet wurde und hohe Geldstrafen. Eine perfide und wahrhaft inhumane Auffassung der Anklage. Dagegen müssen wir protestieren.

Wir haben viel Unterstützung bei der Umsetzung unseres Gedenkortes erfahren. Und jetzt bleiben immer wieder Menschen stehen, schauen auf die Infotafel, betrachten das gekenterte Boot im blau blühenden Feld. Wir bitten Sie, liebe Anwohner*innen und Passant*innen im Umkreis des Gedenkorts, halten Sie die Augen offen und zeigen Sie ihre Solidarität. Damit setzen Sie ein Zeichen der Hoffnung, der Humanität, für Integration und Demokratie und für ein gelingendes Zusammenleben aller.


Erstveröffentlicht am 02.06.2022 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/gedenkort-seebruecke-wuppertal-nur-fuenf-tage-unbehelligt_aid-70699511

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Urlaub auf dem Bahnhofsklo

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« alle 14 Tage eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Die heutige Kolumne ist von Nina Bramkamp:

Logbucheintrag 0.29

Als Utopist*in denkt man möglicherweise, dass es nur einen Bahnhof geben kann. In Belgien wurde ich von diesem tiefen Glauben bekehrt, als ich Urlaub in wallonischen Bahnhofstoiletten machte. Nach der Stilllegung des Bahnhofs im Jahr 1989 wurde das Hauptgebäude in Wohnraum umgewandelt. Aus dem Toilettenhäuschen entstand Dank der phantasievollen Sanierung ein wundervolles Cottage.

Der Bahnhof dieses kleinen Ortes wurde 1863 erbaut und war ein florierender Ort des Reisens und Tor zur großen weiten Welt (in diesem Falle ohne Umsteigen bis nach Namur). Toiletten waren dabei schon immer ein besonderer Ort für Begegnungen.

Am Montag, den 12. Mai 1884 stand Léo auf Gleis 3 des wallonischen Bahnhofs und wartete auf die Ankunft des 12 Uhr Zuges nach Namur. Sein Magen knurrte. Dass die Bäckereien montags geschlossen haben, wurde ihm erst nach dem Aufstehen wieder bewusst. Er schaute sich hungrig auf dem Bahnhof um. Ein dreibeiniger Hund streunte zwischen den Gleisen umher, auf Gleis 1 erblickte er eine Frau mit einem Korb Hühner. Ein paar Orte weiter war Wochenmarkt, auf dem die Wallikiki als Suppenhühner verkauft werden sollten. Während des Wartens ereilte die Dame die Notdurft und sie ging eilend zu den Bahnhofstoiletten. Die Kabinen waren zu klein, so dass sie die Wallikiki unter dem Waschbecken stehen lassen musste. Léo begab sich ebenfalls zu den Toiletten, verpasste aber den Eingang für Messieurs und fand sich im WC Dames wieder. Die Hühner sahen ihn und entrüsteten sich lautstark, während sie erschrocken aus ihrem Korb sprangen. Léo vermutete unten im Korb Eier. Er griff zu einem Bündel im Korb und rannte aus der Toilette. Die walllonischen Hühner nahmen die Verfolgung auf. Madame kam nicht von der Stelle und musste die Flucht wild schimpfend hinnehmen. Alarmiert von dem Geschrei hüpfte der auf der Bahnhofsdeponie wohnende dreibeinige Hund aus seinem Salatbett und rannte kläffend in Richtung des Lärms. Er sah einen rennenden Mann, der gehetzt die Worte »oh je ne regrette rien« sang, gefolgt von wütend gackernden Walliki, die das Gleis 1 entlang jagten. Der Trieb des Tieres sprang an, allein schon wegen der appetitlichen Hühner. Er nahm bellend die Jagd auf und konnte schnell aufholen, während der Zug nach Namur auf Gleis 3 eindampfte und sich bereits an die Weiterfahrt machte. Der Mann, die Hühner, der Hund und das Geschrei von Madame flogen im gestreckten Galopp über das Gleisbett und sprangen in den Waggon. Während der Zug sich in Gang setzte, hatten sie das erste Mal die Gelegenheit, sich zu beschnuppern. Nicht nur Léo hatte Hunger und Essen vereint Mensch und Tier. So öffnete er den Proviantbeutel aus dem Hühnerkorb, der deponische Hund konnte ein paar Salatblätter und ein viertel Croissant, welches er noch in seinem Fell trug, beisteuern. Die Hühner legten zum Auftakt der Freundschaft jede ein Ei. 

Solche und andere utopische Geschichten werden sich auch am Mirker Bahnhof ereignet haben. Utopia is halt everywhere.


Erstveröffentlicht am 19.05.2022 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/neues-aus-der-utopiastadt-urlaub-auf-dem-bahnhofsklo_aid-69957533

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Logbuch

Lebhafter Frühling in der Mirker Straße

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« alle 14 Tage eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Die heutige Kolumne ist von David J. Becher:

Logbucheintrag 0.28

Als ich vor fast 16 Jahren in die Mirker Straße gezogen bin, blickte ich von meinem Arbeitszimmer auf eine Tankstellenbrache, eine Bahnhofsbrache, dahinter verrotteten ein paar Gleise vor einer mindergenutzten Gewerbefläche. Abgerundet wurde diese manifestierte städtebauliche Ignoranz von der Autobahn. Dead end eines Wohngebietes.

Am 1. Mai 2022 schaue ich aus dem Fenster auf eine durch bunte Plastiktüten künstlerisch verhüllte Hebebühne, auf deren Nebenplatz die Mirker Schrauba ihr 9-Jähriges mit einem Jubiläums-Fahrradreparaturcafé feiern. Daneben erblüht ein frühlingshergerichteter Utopiastadtgarten, dann schweift mein Blick über die Bahnhofs- sowie die Vorplatz-Baustelle.Nächstes Wochenende gibt es hier einen Workshop zur fachgerechten Sanierung alter Holzfenster in Utopiastadt (Sa. 7.5., 12-15 Uhr, Anmeldung: fenstersanierung@utopiastadt.eu). Am Wochenende darauf den Tag der Städtebauförderung, bei dem der Vorplatz offiziell eingeweiht wird. Mit Baustellenführungen, Pflanzaktion für das Seebrücke-Denkmal, Graffiti, Supagolf und vielem mehr (Sa. 14.5., 10-16 Uhr).Wieder einen Samstag später wird dann offiziell das Denkmal eingeweiht, das die Seebrücke Wuppertal als Gedenkort für ertrunkene Geflüchtete auf dem Bahnhofsvorplatz installiert hat (Sa. 21.5.).In der Zwischenzeit werden die Teams anreisen, die im Juni beim Solar Decathlon Europe auf dem Utopiastadt-Campus im Zehnkampf des nachhaltigen Bauens gegeneinander antreten, und beginnen, ihre Gebäude aufzustellen.

Niemals hätte ich beim Einzug gedacht, hier mal mitten im Zentrum der gemeinwohlorientierten Stadtentwicklung zu leben. Und das Besondere: Es waren weder Stadtverwaltung noch Politik, es waren keine Stiftungen oder Institutionen, es waren keine Firmen oder Investor:innen, die diese Entwicklung initiiert haben. Es waren frei zusammengewürfelte kreative Menschen, die ihre Entwicklungsimpulse nicht immer nur in hübschen Zwischennutzungs-Projekten verbrennen, sondern dauerhaft zur Verbesserung des Miteinanders in der Stadt einsetzen wollten. Und viele davon sind mehr oder weniger direkte Nachbar:innen, so wie ich.

All diese Menschen haben im Laufe vieler Jahre gezeigt, dass stetes Bemühen um Teilhabe, auch an den großen Stadtentwicklungen, am besten Wirkung zeigt, wenn man immer und immer wieder zusammenarbeitet. Auch, wenn es oft sehr unterschiedliche Vorstellungen gibt, was wann wie mit wem umgesetzt werden sollte.

Genau diese Auseinandersetzungen sind es, die verdeutlichen, dass Stadt nicht dann besonders gut ist, wenn nur eine Verwaltung oder ein Investor definieren, wie ein Ort zu sein hat. Sondern wenn die, die an diesem Ort leben, die, die ihn nutzen und die, die davon profitieren stets aufs Neue besprechen, wie es weiter gehen soll. Dann blüht in jedem Frühjahr erneut auf, was über die Jahre gesät, gehegt und gepflegt wird. Und je öfter ich das hier vor meiner Tür miterlebe, desto überzeugter bin ich: Gute Stadtentwicklung lebt nicht von schnellen Ergebnissen. Sie lebt vom Prozess.


Erstveröffentlicht am 05.05.2022 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/wuppertal-logbucheintrag-aus-der-utopiastadt_aid-69087707

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Landschaftsgestaltung unter Pandemiebedingungen

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« alle 14 Tage eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Die heutige Kolumne ist von Richard Joos:

Logbucheintrag 0.27

Über zwei Coronasommer grub ich mit einigen wackeren Mitstreitenden die Grünstreifen an der Auffahrt zur Nordbahntrasse am Mirker Bahnhof um. Statt Brombeerdschungel eine kleine Streuobstwiese, Bienenweide und Miniaturweinberg scheint per se eine gute Sache. Tatsächlich rettete es mich über die härteren Pandemiephasen, nach dem Homeoffice-Tag noch ein, zwei Stunden die Möglichkeit zu haben, an der frischen Luft ein Stück Stadt vor meiner Nase zu einem angenehmeren Ort zu machen.

Man erfuhr einiges: Gespräche mit Anwohnern entspannen sich über eine ausgegrabene und in der Folge weggestemmten Betonplatte. Gab es Flakstellungen um den Mirker Bahnhof während des Kriegs? (Es war wohl doch nur ein Bauschuppen mit schnell hingegossenem Fundament aus den Sechzigern.) Man wurde interessant wahrgenommen: warum ich hier Erde siebe, wenngleich auf der Fläche hinten Müll liege? Nun, weil ich in meiner Freizeit gern Dinge tue, auf die ich Lust habe, und gerade hab ich Lust aufs Erdesieben. Ich freue mich aber über jeden, der den Müll einsammelt, Samstag ist Workout. Erstaunlich oft wird von vorneherein ausgeschlossen, dass Menschen was einfach so machen, und nicht, weil es bezahlt wird.

Man bewirkte auch interessantes. Wenn man zwei Wochen jeden Abend schaufelt, trifft man Menschen wieder. Es ergaben sich erstaunliche Stimmungswechsel über die kurzen Gespräche: schleichende Übergänge vom skeptischen »Wer sich engagiert, wird ausgenutzt«, in der Regel begleitet von Geschichten über eigene schlechte Erfahrungen, hin zum gemeinsamen Freuen über den Fortschritt nach einer Woche. Kinder hingegen sind in der Regel interessiert bis begeistert, insbesondere, wenn man ein Nest Engerlinge oder spannenden Schrott ausgräbt.

Persönliche Folgen, neben besserem Schlaf und Bekämpfung der Corona-Bleischwere? Es ist unglaublich, wie man sich über Menschen freuen kann, die auf einer Trockenmauer sitzen und Eis essen, wenn man die Trockenmauer in der vorigen Woche fertig gebaut hat. Die erfreulichste Beschwerde der Welt: jemand habe die schönste Blumenwiese in Wuppertal abgemäht, ein Unding! (Es war nach dem letzten Blühen und schwer notwendig). Die zweite Apfelernte komplett geklaut: alles richtig gemacht.

Nun könnte man einmal mehr Worte darüber verlieren, wie wichtig Engagment und Ehrenamt in den Quartieren sei und sich selbstzufrieden auf die Schulter klopfen. Anders herum scheint es aber richtiger aufgezäumt: es ist eine unglaublich gute Sache, Menschen die Möglichkeit zu geben, ein Quartier mitzugestalten, schöner und lebenswerter zu machen. Ich hatte das Glück, eine solche Möglichkeit direkt vor der Nase zu haben. Denn letzten Endes spielt bei allem Engagement eine große Portion Egoismus eine maßgebliche Rolle: Ohne zwei Sommer Umgraben und Trockenmauern hätte ich mit einiger Sicherheit einen sehr handfesten Coronakoller bekommen. Mit solchen Orten vor der Nase kann man sogar aus einer Pandemie was schönes machen.


Erstveröffentlicht am 21.04.2022 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/stadtteile/elberfeld/landschaftsgestaltung-unter-pandemiebedingungen_aid-68264107

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18 Monate meines Lebens

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« alle 14 Tage eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Die heutige Kolumne ist von Canan Clara Yedek:

Logbucheintrag 0.26

Wenn man einen Freiwilligendienst antritt, tritt man mit gewissen Erwartungen an. Man macht sich Gedanken darüber, was man in diesem Jahr machen wird, was man für die Gesellschaft leisten kann und vor allem auch, was die Erfahrung einem selbst geben wird. Meine für einen BFD waren ganz simpel: Ich wusste nicht, was ich nach der Schule sonst machen sollte und brauchte dringend Unterstützung bei der Orientierung. Meine Intentionen dafür, zu Utopiastadt zu gehen, waren genauso simpel: als links/grüne Aktivismus-Jugendliche mit großem Interesse an Kunst und Kultur, passten Utopiastadt und ich einfach zusammen wie Arsch auf Eimer. Letztendlich war es, wie auch sonst, das Corona Virus, welches 90% meiner Erwartungen einen Strich durch die Rechnung machte. Veranstaltungen: abgesagt, Kunst und Kultur: online, Ich: enttäuscht.

Und so starteten dann meine 12 Monate Utopiastadt – von denen ich anfangs gedacht hätte, sie würden sich eher verkürzen. Nie hätte ich gedacht ich würde das Jahr verlängern, schliesslich hatte ich mir Kunst und Kultur vorgestellt und nicht Hammer und Bohrer. Aber so kam es dann: Ich, handwerklich unterbegabt, gerade mal dazu in der Lage, einen Nagel ins Holz zu hämmern, stand auf einmal vor der Aufgabe, einen Bahnhof zu sanieren.

Anfangs hielt ich mich etwas zurück, war distanziert den Menschen gegenüber, die ich kennenlernte und mit denen ich arbeitete, immerhin spielte ich noch mit dem Gedanken, abzubrechen. Als ich dann aber realisierte, was für ein wundervolles Team in und um Utopiastadt zusammenarbeitet, wollte ich doch unbedingt ein Teil davon sein. Ich schloss Freundschaften und hatte auf einmal eine Gruppe von Leuten um mich herum, die ich sehr lieb gewonnen hatte. Mit beachtlicher Geduld haben diese Personen mir dann Stück für Stück ihr handwerkliches Können beigebracht. Sie haben großes Verständnis für meine Grenzen aufgebracht und diese respektiert, mich gleichzeitig aber auch motiviert und ermutigt diese Grenzen zu überwinden. Unerwartet hatte ich irgendwann sogar Spaß daran mich handwerklich zu betätigen und habe vor allem die Freude daran entdeckt, mit einem Presslufthammer Böden in Schutt zu verwandeln und Fenster zu sanieren.

Ich konnte bei Utopiastadt jedoch nicht nur etwas übers Handwerk, sondern auch viel über mich selbst lernen. Das verdanke ich vor allem meinen Kolleg:innen und vielen Stunden intensiver, manchmal schon fast philosophischer Gespräche.

Rückblickend bereue ich keine einzige Sekunde der 18 Monate und würde mich immer wieder für Utopiastadt als Einsatzstelle entscheiden. Ich habe unglaublich viele Erfahrungen gesammelt, habe tolle Freundschaften geknüpft, habe dabei geholfen, einen wunderbaren Ort aufzubauen, an dem tolle Menschen zusammenkommen können, um ihre Ideen zu verwirklichen. Ich habe einen Ort gefunden, zu dem ich immer wieder zurückkommen werde, und es wird sich immer ein kleines bisschen so anfühlen, wie nach Hause kommen.

Aktuell suchen wir neue Bufdis. Bewerbungsschluss ist der 31.5.: Mitmachen!


Erstveröffentlicht am 07.04.2022 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/bufdi-in-der-wuppertaler-utopiastadt_aid-67866945

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Pläne schmieden, Plan haben, machen!

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« alle 14 Tage eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Die heutige Kolumne ist von Maximilian Schmies:

Logbucheintrag 0.25

Wenn ich an einem sonnigen Frühlingstag über die Nordbahntrasse entlang des Mirker Bahnhofs spaziere, dann begegnet er mir auf allen Sinnen: der unwiderstehliche Geist des MACHENS!

Unten im Garten summen fleissige Bienen und sammeln Nektar für Candys Frühlingshonig. Hinter dem Fenster des Coworkings sehe ich Patrick die Linse seiner Kamera putzen. Tobi und Alex sortieren Werkzeug in der Gepäckabfertigung und bereiten den anstehenden Workshop zur Fenstersanierung vor. Aus dem farbenfrohen Übersee-Container der Talbohne grüßen fröhlich Yvonne und Basti und es weht der Duft von geröstetem Kaffee herüber. Gleich nebenan macht sich Luka mit der Schweißerbrille auf der Nase daran, ihren eigenen Container in die Tortenmanufaktur KALU zu verwandeln. In der Fienchen-Garage werden von ehrenamtlichen »Schraubas« die Lastenräder flott gemacht. Ein paar Meter weiter, auf der Bank in der Sonne, spielt Jacob derweil ein neues Update für die Website auf. Ich winke Clara zu, die auf der Hutmacher Terrasse sitzt und die Schichtpläne für die Gastro-Crew aktualisiert. Lea und Kristin stossen mit einem hauseigenen Bärtig Bräu auf die Ausstellungseröffnung des Blaupausen Ideenwettbewerbs an. Gleich nebenan im Testzentrum behält Aaron trotz langer Schlange einen kühlen Kopf. Julian klärt mit der Band letzte Details für das Konzert heute Abend. Und aus dem Besprechungsraum hoch oben unter dem Dach des Bahnhofs dringt ein vielstimmiges Gemurmel.

Was machen die bloß alle hier, frage ich mich? Die Antwort ist so einfach wie überzeugend: mit Herzblut die eigenen Träume verwirklichen! 

In den Händen, Köpfen und Herzen der Utopist:innen schlummert ein unglaublicher Erfahrungsschatz. Ganz gleich ob ich ein Nachbarschaftsprojekt initiieren, mein Hobby weiterbringen oder ein eigenes Gewerbe auf die Beine stellen will. Irgendwo in Utopiastadt gibt es mit Sicherheit jemanden, der damit schon Erfahrung gemacht hat. Und mir Antworten geben kann auf die drängendsten Fragen, die auf meinem Weg warten. Fragen wie: »Kommt meine neue Idee wohl bei den Leuten an?«, »Was ist meine Arbeit wert?«, »Wie organisiere ich mein Team?«, »Wie melde ich eine Veranstaltung an?«, »Was ist der ideale Standort für meine Manufaktur?«, oder auch ganz was anderes.

Am Donnerstag, den 31. März um 18:00 starten wir in Utopiastadt mit einem neuen Format wo Know-How fürs Verwirklichen geteilt wird. Die Rede ist von »PLAN HABEN – die co-kreative Beratung für’s Machen!«. (Fast) immer am vierten Donnerstag des Monats im Utopiastadt Coworking öffnet sich ein Raum wo Menschen wie Patrick, Luka, Basti, Clara und ich voneinander lernen und in unserem Tun einen Schritt weiterkommen können. An alle Macher:innen da draußen möchte ich also ganz herzlich die Einladung aussprechen: Kommt nach Utopiastadt, bringt Eure Fähigkeiten und Herausforderungen mit und lasst uns gemeinsam weiterkommen! 

Mehr Infos rund um PLAN HABEN und den Geist des Machens in Utopiastadt: https://www.utopiastadt.eu/planhaben


Erstveröffentlicht am 24.03.2022 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/stadtteile/elberfeld/plaene-schmieden-plan-haben-machen_aid-67433823

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Vorbildliches Wuppertal

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« alle 14 Tage eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Die heutige Kolumne ist von David J. Becher:

Logbucheintrag 0.24

Wuppertal ist immer wieder vorbildlich. In einem Artikel über unsere Aktivitäten am Bahnhof Mirke schrieb die ‚Welt‘ 2015: »Lasst uns einfach mehr Wuppertal wagen!«. Und letztes Jahr erhielt Wuppertal beim ‚Bundespreis kooperative Stadt‘ der Nationalen Stadtentwicklungspolitik eine besondere Anerkennung, unter Anderem für den Utopiastadt-Campus-Flächenentwicklungsbeirat (UCF). Auch hier ist die Stadt erneut Vorbild für kooperative Stadtentwicklung zwischen Immobilienwirtschaft, Verwaltung und gesellschaftlicher Initiative. Aber was ist eigentlich kooperative Stadtentwicklung?
Was es nicht ist: In einer Kolumne abschließend zu klären. Was es für mich ist: Alle Mühen wert!

Natürlich kann man eine Bundesbahndirektion, eine zentrale Fläche vor dem Hauptbahnhof oder das Bergische Plateau privaten Investment-Firmen überlassen. Dann ist Gesellschaft eben dauerhaft davon abhängig, was diese daraus entwickeln wollen oder können und muss in jedem Fall damit rechnen, dass sie ein mehr oder weniger deutliches Interesse daran haben, private Profite aus ihren Orten zu ziehen. Diese Entwicklungen sind zwar durch Gesetze und Verordnungen eingegrenzt und innerhalb derer verhandelbar. Aber am Ende geht es bei Entscheidungen darum, wer am längren Hebel sitzt, was demokratische Prozesse oft eher hemmt, als sie zu stärken. Zudem, und das ist sicherlich ein wichtiger Faktor, warum diese Prozesse so üblich sind, sind wir als Gesellschaft sehr an sie gewöhnt. Und sie sind vordergründig schön einfach: Irgendwer kommt, zahlt und regelt.

Anders bei kooperativer Stadtentwicklung:
Im UCF mussten wir ein gemeinsames Verständnis von Stadtentwicklung finden, Fragen von Invest und Ertrag diskutieren, Entwicklungszenarien am Gemeinwohl orientieren, eine Gesprächs-, Vereinbarungs- und Abstimmungskultur entwickeln, alles sinnvoll dokumentieren und in ein Ergebnispapier fließen lassen. All das haben damals Stadtentwicklung, Wirtschaftsförderung, Aurelis und wir unter guter Moderation erfolgreich hinbekommen! Das entwickelte Rahmenkonzept wurde dem Stadtentwicklungsausschuss vorgestellt, ist nach wie vor im Ratsinformationssystem abrufbar und, am Wichtigsten: Es ist eine hilfreiche Grundlage für Entwicklungsentscheidungen am Bahnhof Mirke.

Auch so ein Weg ist also gangbar. Und entgegen gewohnter Vorstellungen schafft so ein Prozess nicht trotz, sondern wegen der anspruchsvollen Auseinandersetzungen einen großen Mehrwert. Vorausgesetzt, man sieht Gemeinwohl nicht als buntes Extra, wenn ein bißchen Geld für Kreativ-Workshops, Konzerte oder Kinderbetreuung über ist, sondern erkennt es schon im Weg der gemeinsamen Entwicklung.

Artikel 14 unseres Grundgesetzes sichert individuelles Eigentum. Im ersten Satz. Im zweiten belegt es dieses mit einer klaren Pflicht: »Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen«. Der Utopiastadt-Campus ist ein andauernder Gesellschaftskongress, um kooperativ herauszufinden, wie das besser gelingen kann, als bisher.


Erstveröffentlicht am 10.03.2022 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/stadtteile/elberfeld/vorbildliches-wuppertal_aid-67016737

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Bildet Informationsfahrgemeinschaften!

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« alle 14 Tage eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Die heutige Kolumne ist von Benedikt Matthes:

Logbucheintrag 0.23

In der letzten Kolumne ging es um den Verkehrswandel. Davor um smarten Umgang mit Daten. Wir in Utopiastadt denken Dinge gerne in Zusammenhängen – was also ist mit smartem Verkehr? Die Stadt Frankfurt am Main will Lärm und Schadstoffe im Straßenverkehr reduzieren, in dem sie eine App herausgibt (trafficpilot), welche abhängig von Position und Fahrtrichtung die Geschwindigkeit anzeigt, die man einhalten sollte, um an der nächsten Ampel nicht bei Rot stehenbleiben zu müssen. 441 Lichtzeichenanlagen schicken dafür Daten in die Verkehrsleitzentrale, wo die Informationen ausgewertet und aufbereitet werden. Die App hat rund 256.000 Euro gekostet und wurde leider nicht als Open Source herausgegeben. Schade, denn immerhin sind nicht wenige öffentliche Mittel dafür ausgegeben worden. Gut hingegen finde ich, dass diese App auch von Radfahrenden genutzt werden kann. Toll, dachte ich, das will ich hier in Wuppertal auch haben. Schnell war mein Smartphone gezückt, die Twitter-App geöffnet, der Account der Stadt Wuppertal adressiert und … dann hielt ich inne. Denn eine fancy, aber geschlossene App, die immerhin Positionsdaten ihrer Nutzenden erhebt und in den Datenschutzbedingungen Versprechungen macht, die man nicht unmittelbar nachprüfen kann, macht den Verkehr einer Stadt noch lange nicht smart.

Dies tun, ich sagte es vor 4 Wochen schon, nur Menschen. Und daran mangelt es auch im Verkehrsdezernat, welches besser ausgestattet gehört. Wenn Herr Slawig Anfang Januar im lokalen Radio behauptet, die Stadt könne sich die Verkehrswende nicht leisten, lässt er dabei außer Acht, dass es uns noch viel teurer zu stehen kommt, wenn wir so vehement auf die Auto-Zentrierung in der Stadtentwicklung beharren. Der Klimaschutz wird in dieser Argumentation ebenso außer acht gelassen wie soziale Faktoren insbesondere in einer Innenstadt. Ein vernünftig ausgestattetes Verkehrsdezernat hat die Zeit und damit die Möglichkeiten, den Verkehr ganzheitlich und neu zu denken – jenseits von kleinen und symbolischen Modellversuchen, wie wir gerade einen am Laurentiusplatz betrachten können und wo auch gerade die Autofahrenden am lautesten gegen den Modellversuch agitieren. Wirklich smart wird unsere Stadt nicht, wenn wir nicht mutiger und offener für neue Wege der Gestaltung sind. Herr Slawig sollte nicht das kommende Bürgerbeteiligungsverfahren für ein neues Mobilitätskonzept von vornherein mit solchen Äußerungen torpedieren und die Bürger*innen entmutigen, daran teilzunehmen.

Der Hersteller von Trafficpilot listet auch Wuppertal auf seiner Seite mit dem Hinweis »im Aufbau«. Ich hoffe jedoch nicht, dass die Stadt trafficpilot bloß marketingwirksam adaptiert, sondern die Datenbasis als offene Daten herausgibt – die die App dann gerne verwenden kann, die aber andererseits auch neue Formen der Wissenschaft, nämlich Bürger*innen-Wissenschaft (Citizen Science) und damit sachlichere Debatten möglich machen.

Das wäre smart.

Am 5. März ist Open Data Day 2022. Mehr dazu in Kürze auf opendatal.de.


Erstveröffentlicht am 24.02.2022 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/stadtteile/elberfeld/bildet-informationsfahrgemeinschaften_aid-66552375