Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« alle 14 Tage eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.
Die heutige Kolumne ist von David J. Becher:
Logbucheintrag 0.24
Wuppertal ist immer wieder vorbildlich. In einem Artikel über unsere Aktivitäten am Bahnhof Mirke schrieb die ‚Welt‘ 2015: »Lasst uns einfach mehr Wuppertal wagen!«. Und letztes Jahr erhielt Wuppertal beim ‚Bundespreis kooperative Stadt‘ der Nationalen Stadtentwicklungspolitik eine besondere Anerkennung, unter Anderem für den Utopiastadt-Campus-Flächenentwicklungsbeirat (UCF). Auch hier ist die Stadt erneut Vorbild für kooperative Stadtentwicklung zwischen Immobilienwirtschaft, Verwaltung und gesellschaftlicher Initiative. Aber was ist eigentlich kooperative Stadtentwicklung?
Was es nicht ist: In einer Kolumne abschließend zu klären. Was es für mich ist: Alle Mühen wert!
Natürlich kann man eine Bundesbahndirektion, eine zentrale Fläche vor dem Hauptbahnhof oder das Bergische Plateau privaten Investment-Firmen überlassen. Dann ist Gesellschaft eben dauerhaft davon abhängig, was diese daraus entwickeln wollen oder können und muss in jedem Fall damit rechnen, dass sie ein mehr oder weniger deutliches Interesse daran haben, private Profite aus ihren Orten zu ziehen. Diese Entwicklungen sind zwar durch Gesetze und Verordnungen eingegrenzt und innerhalb derer verhandelbar. Aber am Ende geht es bei Entscheidungen darum, wer am längren Hebel sitzt, was demokratische Prozesse oft eher hemmt, als sie zu stärken. Zudem, und das ist sicherlich ein wichtiger Faktor, warum diese Prozesse so üblich sind, sind wir als Gesellschaft sehr an sie gewöhnt. Und sie sind vordergründig schön einfach: Irgendwer kommt, zahlt und regelt.
Anders bei kooperativer Stadtentwicklung:
Im UCF mussten wir ein gemeinsames Verständnis von Stadtentwicklung finden, Fragen von Invest und Ertrag diskutieren, Entwicklungszenarien am Gemeinwohl orientieren, eine Gesprächs-, Vereinbarungs- und Abstimmungskultur entwickeln, alles sinnvoll dokumentieren und in ein Ergebnispapier fließen lassen. All das haben damals Stadtentwicklung, Wirtschaftsförderung, Aurelis und wir unter guter Moderation erfolgreich hinbekommen! Das entwickelte Rahmenkonzept wurde dem Stadtentwicklungsausschuss vorgestellt, ist nach wie vor im Ratsinformationssystem abrufbar und, am Wichtigsten: Es ist eine hilfreiche Grundlage für Entwicklungsentscheidungen am Bahnhof Mirke.
Auch so ein Weg ist also gangbar. Und entgegen gewohnter Vorstellungen schafft so ein Prozess nicht trotz, sondern wegen der anspruchsvollen Auseinandersetzungen einen großen Mehrwert. Vorausgesetzt, man sieht Gemeinwohl nicht als buntes Extra, wenn ein bißchen Geld für Kreativ-Workshops, Konzerte oder Kinderbetreuung über ist, sondern erkennt es schon im Weg der gemeinsamen Entwicklung.
Artikel 14 unseres Grundgesetzes sichert individuelles Eigentum. Im ersten Satz. Im zweiten belegt es dieses mit einer klaren Pflicht: »Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen«. Der Utopiastadt-Campus ist ein andauernder Gesellschaftskongress, um kooperativ herauszufinden, wie das besser gelingen kann, als bisher.
Erstveröffentlicht am 10.03.2022 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/stadtteile/elberfeld/vorbildliches-wuppertal_aid-67016737