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Eine für alle

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« alle 14 Tage eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Diese Kolumne ist von Amanda Steinborn:

Logbucheintrag 0.39

Der Frühling naht und wir sehnen uns danach das Leben wieder nach draußen zu verlagern. Eine kleine Oase, ohne Verkehr im Grünen, wo wir gemeinsam spielen, schaffen und uns raufen können. Und das Ganze am besten direkt vor der eigenen Haustüre. Wie utopisch ist das denn bitte? Sehr! Na dann – auf geht’s. 

Utopiastadt ist ja nicht nur der Mirker Bahnhof und die alte Gepäckabfertigung nebenan, welche bald ihre Tore als Gemeinschaftswerkstatt öffnet. Utopiastadt ist auch der Campus mit seinen run 40.000 qm drum herum. Da wonoch ein paar Häuser des Solar Decathon Europe stehen, die riesige Halle und auch das Zirkuszelt. Aber was passiert eigentlich mit der Fläche? 

Der Utopiastadt Campus soll ein Ort für viele sein. Viele die dort mithelfen, viele die dort Platz nutzen und viele die dort Ideen einbringen. Die Fläche für das Gemeinwohl gekauft worden, also mit dem Ziel die Fläche im Sinne der Bürger:innen zu entwickeln und nicht an die meistbietende Immobilienfirma zu veräußern. Der Utopiastadt-Campus ist also eine Immovielie: Von Vielen für Viele! Laut dem bundesweiten Netzwerk Immovielien geht es dabei um zivilgesellschaftliche Initiativen, die in Städten und ländlichen Räumen selbstorganisiert, solidarisch und in Kooperation mit Partnern Immobilien für sich und ihre Nachbarschaft entwickeln und dabei eine besondere Rolle in der Entwicklung lebendiger und zukunftsfähiger Stadtteile einnehmen. 

Sowohl das Netzwerk, als auch wir wissen jedoch: einfach ist das nicht. Wo viele Menschen mit am Werk sind, sind auch viele Bedarfe und wo viel Fläche ist, sind viele Kosten. So können wir als Eigentümer:innen der Fläche nicht einfach loslegen mit tollen Ideen und Projekten. Wir sind an die äußeren Umstände gebunden: Kredite und Zinsen müssen getilgt, laufende Betriebskosten gedeckt werden. Und das Dach der bunten Halle ist dann noch lange nicht saniert.

Als in erster Linie ehrenamtlich getragene Initiative, stehen uns nicht einfach so Mittel zur Verfügung. Daher können die Flächen nur Schritt für Schritt gestaltet und müssen Konzepte sorgsam und unter Beteiligung Vieler entwickelt werden, damit diese sowohl dem Anspruch an das Gemeinwohl, als auch an das Kapital gerecht werden. Das ist eine langfristige und mühselige Aufgabe, die wenig pompöse Wirkung nach außen hin hat und viele Ressourcen bindet. Ressourcen die sowieso schon knapp und zu großen Teilen in der Sanierung des Hauptgebäudes gebunden sind. 

Trotzdem geben wir unseren Traum einer Immoviele für Wuppertal nicht auf, aber um eine Fläche für Viele schaffen zu können, brauchen wir Euch! Spenden, ehrenamtliche Mitarbeit oder Ideen und Möglichkeiten zur Sicherung dringend benötigter Personalressourcen, um den Wandel gut gestalten zu können – all das ist uns immer willkommen! Eine gute Möglichkeit zum Einstieg bietet das nächste Forum:Mirke am 15.2. im Café der Alten Feuerwache: Dort berichten wir über die aktuellen Entwicklungen auf dem Utopiastadt-Campus. Kommt vorbei – eine Fläche für Alle kann es nur mit der Hilfe von Vielen geben.

Wer sich über das Netzwerk Immovielien informieren will: https://www.netzwerk-immovielien.de


Erstveröffentlicht am 09.02.2023 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/stadtteile/elberfeld/kolumne-aus-wuppertal-immobilien-und-immovielen_aid-84562647

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Vorbildliches Wuppertal

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« alle 14 Tage eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Die heutige Kolumne ist von David J. Becher:

Logbucheintrag 0.24

Wuppertal ist immer wieder vorbildlich. In einem Artikel über unsere Aktivitäten am Bahnhof Mirke schrieb die ‚Welt‘ 2015: »Lasst uns einfach mehr Wuppertal wagen!«. Und letztes Jahr erhielt Wuppertal beim ‚Bundespreis kooperative Stadt‘ der Nationalen Stadtentwicklungspolitik eine besondere Anerkennung, unter Anderem für den Utopiastadt-Campus-Flächenentwicklungsbeirat (UCF). Auch hier ist die Stadt erneut Vorbild für kooperative Stadtentwicklung zwischen Immobilienwirtschaft, Verwaltung und gesellschaftlicher Initiative. Aber was ist eigentlich kooperative Stadtentwicklung?
Was es nicht ist: In einer Kolumne abschließend zu klären. Was es für mich ist: Alle Mühen wert!

Natürlich kann man eine Bundesbahndirektion, eine zentrale Fläche vor dem Hauptbahnhof oder das Bergische Plateau privaten Investment-Firmen überlassen. Dann ist Gesellschaft eben dauerhaft davon abhängig, was diese daraus entwickeln wollen oder können und muss in jedem Fall damit rechnen, dass sie ein mehr oder weniger deutliches Interesse daran haben, private Profite aus ihren Orten zu ziehen. Diese Entwicklungen sind zwar durch Gesetze und Verordnungen eingegrenzt und innerhalb derer verhandelbar. Aber am Ende geht es bei Entscheidungen darum, wer am längren Hebel sitzt, was demokratische Prozesse oft eher hemmt, als sie zu stärken. Zudem, und das ist sicherlich ein wichtiger Faktor, warum diese Prozesse so üblich sind, sind wir als Gesellschaft sehr an sie gewöhnt. Und sie sind vordergründig schön einfach: Irgendwer kommt, zahlt und regelt.

Anders bei kooperativer Stadtentwicklung:
Im UCF mussten wir ein gemeinsames Verständnis von Stadtentwicklung finden, Fragen von Invest und Ertrag diskutieren, Entwicklungszenarien am Gemeinwohl orientieren, eine Gesprächs-, Vereinbarungs- und Abstimmungskultur entwickeln, alles sinnvoll dokumentieren und in ein Ergebnispapier fließen lassen. All das haben damals Stadtentwicklung, Wirtschaftsförderung, Aurelis und wir unter guter Moderation erfolgreich hinbekommen! Das entwickelte Rahmenkonzept wurde dem Stadtentwicklungsausschuss vorgestellt, ist nach wie vor im Ratsinformationssystem abrufbar und, am Wichtigsten: Es ist eine hilfreiche Grundlage für Entwicklungsentscheidungen am Bahnhof Mirke.

Auch so ein Weg ist also gangbar. Und entgegen gewohnter Vorstellungen schafft so ein Prozess nicht trotz, sondern wegen der anspruchsvollen Auseinandersetzungen einen großen Mehrwert. Vorausgesetzt, man sieht Gemeinwohl nicht als buntes Extra, wenn ein bißchen Geld für Kreativ-Workshops, Konzerte oder Kinderbetreuung über ist, sondern erkennt es schon im Weg der gemeinsamen Entwicklung.

Artikel 14 unseres Grundgesetzes sichert individuelles Eigentum. Im ersten Satz. Im zweiten belegt es dieses mit einer klaren Pflicht: »Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen«. Der Utopiastadt-Campus ist ein andauernder Gesellschaftskongress, um kooperativ herauszufinden, wie das besser gelingen kann, als bisher.


Erstveröffentlicht am 10.03.2022 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/stadtteile/elberfeld/vorbildliches-wuppertal_aid-67016737