Kategorien
Logbuch

Danke, Bufdis!

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« regelmäßig eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Diese Kolumne ist von David J. Becher:

Logbucheintrag 0.45

Letzten Monat schrieb Amanda hier von tatkräftiger Hilfe, die Utopiastadt braucht. Darauf haben sich tatsächlich interessierte Menschen gemeldet oder sind einfach direkt samstags zum Sanierungs-Workout gekommen. Darüber freuen wir uns sehr! Noch immer braucht es weiteres Engagement, um Utopiastadt als einen guten und offenen Ort für alle zu erhalten, aber jetzt merken wir zumindest ganz direkt, dass wir nicht so alleine all die vielen Gemeinschaftsaufgaben schultern müssen, wie es sich zuletzt oft anfühlt. Vielen Dank!

Dabei eines beim Ehrenamt klar: Es braucht Freiraum in der persönlichen Zeit und Freiwilligkeit beim Tun.

In dem Zusammenhang ist es besonders schön, dass jedes Jahr junge Menschen das Experiment antreten, sich für zwölf Monate gegen ein Taschengeld selbst zum ehrenamtlichen Tun zu verpflichten und einen Bundesfreiwilligendienst (Bufdi) in Utopiastadt machen. Zuletzt waren das Ben, Frieda, Philipp und Valentina, die nun die letzten Wochen hier arbeiten. Schon jetzt ist klar: Wir werden sie sehr vermissen! Menschlich sowieso, weil sie nicht zuletzt durch ihre tägliche Anwesenheit diesen Ort mindestens so geprägt haben, wie langjährige Gelegenheitsutopist:innen wie ich. Aber eben auch fachlich!

Seit Utopiastadt vor allem Sanierungsbaustelle ist, sind sie nun die dritte Bufdi-Generation, deren Hauptaufgabe es war, sich bei der Sanierung zu engagieren. Und seit Beginn des Jahres unter erschwerten Bedingungen: Zwei zentrale Stellen fielen weg und konnten aus finanziellen Gründen nicht nachbesetzt werden. Beides Stellen, die im Umfeld der Sanierungs- und Flächenentwicklungsarbeiten enge Ansprechpartner für die Alltagsarbeit der Bufdis waren. Seither sitze ich freundlich aber fachlich ziemlich ahnungslos bei den meisten Samstagsworkouts morgens zwei Stunden als Begrüßungs-Rezeption in der Werkstatt und durfte hautnah erleben, wie vier junge Menschen eine bewundernswert selbständige Verantwortung für ihr Tun übernommen haben!

Und nicht nur in der Sanierungswerkstatt: Auch anderswo waren alle vier verlässlich und präsent dabei: Auf- und Abbauten von Veranstaltungen, spontaner Einsatz bei unvorhersehbaren Dringlichkeiten oder einfach die persönliche Ansprechbarkeit, wenn wer Hilfe bei der Orientierung in der Vielfalt Utopiastadts brauchte.

Das alles habt Ihr, Ben, Frieda, Philipp und Valentina, vom Start mit neugieriger Begeisterung – ich schaue dazu gern in Friedas Logbuch-Kolumne aus September 2022 – bis zum Ende beeindruckend gemeistert! Und ich meine wirklich Meisterschaft: Mir ist sehr bewusst, an welche Grenzen einen die herausfordernde Situation der Großbaustelle Utopiastadt bringen kann. Besonders, wenn man sich nicht wie andere Ehrenamtler:innen einfach mal eine Weile herausziehen kann. Diese konsequente, selbstbewusste und verlässliche Arbeit, die Ihr uns und allen, die Utopiastadt nutzen, geschenkt habt, nötigt mir eine großen Respekt ab. Von Herzen: Danke!


Erstveröffentlicht am 10.08.2023 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/utopiastadt-logbuch-ohne-freiwillige-laeuft-hier-nichts_aid-95424635

Kategorien
Logbuch

Vom Geben

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« regelmäßig eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Diese Kolumne ist von David J. Becher:

Logbucheintrag 0.35

Seit sehr langer Zeit werden wir immer wieder gefragt, wo denn die Givebox geblieben ist: Der Spind, in den Menschen Dinge hinein tun können, die sie nicht mehr brauchen, damit andere diese Dinge mitnehmen und gebrauchen können. Eigentlich eine einfache Sache. Eigentlich … 
Dieses ‚Eigentlich‘, das so viele Anfragen an Utopiastadt durchzieht, hat Erich Kästner einst gut ausgeführt: »Es gibt nichts Gutes, außer, man tut es.« Und jetzt ist Thomas aufgetaucht, der mit einer utopiastadt-kompatiblen Beharrlichkeit so lange nachgehakt hat, was er tun kann, damit eine neue Givebox an den Start kommt, bis er an den richtigen Stellen gelandet ist. Jetzt bereitet er mit weiteren  Utopist:innen alles dafür vor, dass bald wieder eine Givebox an der Trasse steht!

Was mich dazu gebracht hat, mir mal wieder Gedanken über das Geben an sich zu machen. Eine Givebox ist ein guter Ort, um die vorzeitige Verwandlung von Nützlichem zu Abfall zu verhindern. Was aber ist mit der Hingabe von Arbeit, dem Bereitstellen von Räumen, dem Teilen von Wissen? 

In vergangenen Jahren ist mir gelegentlich die Frage gestellt worden, warum meine Arbeit in Utopiastadt nicht bezahlt würde. Mehr noch: Es wurde unterschwellig kritisiert, dass man solche Arbeit unentgeltlich zur Verfügung stellt. Worin ich unter Anderem eine seltsam verschobene Wertschätzung von Arbeit sehe: Wird sie unentgeltlich erledigt, gilt sie rasch als minderbewertet. Geben ohne direkten Gegenwert, also Schenken, ist gerade noch zu konkreten Anlässen vorgesehen, aber damit auch mindestens mit dem Gegenwert konventioneller Konformität belegt. Einfache Hingabe von Zeit, Leistung oder Dingen sorgt hingegen bei genauerer Betrachtung oft für Irritation. Aber wonach bestimmen wir eigentlich den Wert all unserer gesellschaftlichen Leistungen? Warum verdient eine Kindergärtnerin weniger als eine Studienrätin? Noch seltsamer: Warum verdient eine Studienrätin weniger als ein Studienrat? Und um es richtig kompliziert zu machen: Warum verdienen wir überhaupt etwas für unsere Arbeit? Oder umgekehrt: Warum müssen wir erst arbeiten, um etwas zu verdienen? 

Dabei will ich gar nicht auf den schon erfreulich breit diskutierten Ausweg des bedingungslosen Grundeinkommens hinaus. Sondern auf die Frage des bedingungslosen Gebens: Wir leben hier in einer ausgeprägten Überflussgesellschaft. Und ich persönlich habe grundsätzlich mehr als genug zur Verfügung. Das fühlt sich nicht immer unmittelbar so an, aber genau besehen bin ich weit entfernt von jeglichem Mangel.
Also arbeite ich in Utopiastadt mit all den Ressourcen, die mir nebenbei zur Verfügung stehen, an einer besseren Gesellschaft. Einfach so. Mit Hingabe. Im sprichwörtlichen Sinne. Dafür erwarte ich zunächst nichts, Bezahlung schon gar nicht, aber auch nicht Dank, Anerkennung, Sonderstellung, oder gar die in der Apostelgeschichte beschworene Seligkeit. Zunächst. Denn etwas erwarte ich schon – doch auch das nur, insoweit ich da selber Hand anlegen kann:
Eine bessere Gesellschaft.


Erstveröffentlicht am 13.10.2022 in der Printausgabe der WZ:
https://www.wz.de/nrw/wuppertal/stadtteile/elberfeld/kolumne-aus-wuppertal-es-gibt-nichts-gutes-ausser-man-tut-es_aid-78231863